Der Moment, in dem man vor dem Fenster steht und hinaussieht. Dichte Nebelschwaden wabern durch den Garten. So dick, dass man fürchtet, er bleibt an den Sträuchern hängen. Die Sicht reicht nur ein paar Meter und unzählige Wassertropfen glitzern auf dem Glas. Kein Lüftchen geht, aber die Kälte und Nässe spürt man dennoch bis auf die Knochen. Man steht in der warmen Wohnung, eingehüllt in einen flauschigen, weichen Pullover und die heiße Tasse Kaffee wärmt nicht nur von innen. Mit dem Blick starr nach draußen gerichtet, stiehlt sich das zufriedene Lächeln wie von selbst auf die Lippen. Die Finger umklammern das glatte Porzellan und das heiße Kribbeln wandert bis in die Arme hinauf. Die Gedanken schweifen davon und man freut sich optimistisch auf den Tag. Man weiß nicht, was kommen wird, aber man ist bereit für neue Eindrücke und Erlebnisse. Beim nächsten Schluck verharrt die Tasse sanft gegen den Mund gepresst. Der fantastische Duft des Kaffees steigt in die Nase und verstärkt das wohlige Gefühl von Heimat und Sicherheit. Erst wenn der letzte Rest ausgetrunken ist, dreht man sich um, atmet einmal durch und verlässt das Haus. Gewappnet und voller Vorfreude für den Tag und voller Tatendrang.
Der Moment, wenn man im Sommer auf dem Balkon sitzt und dem Sonnenuntergang bis zum Schluss zusieht. Rundherum ist es alles andere als leise und dennoch fühlt es sich nach Frieden an. Der Himmel malt die komplette Farbpalette in die Wolken. Rosarot, orange bis purpur. Eine warme Brise trägt den Geruch von Grillkohle heran und kleine Insekten umschwirren in der Dämmerung die Blüten. Alle Geräusche dringen unverkennbar ans Ohr, weil jeder aufgrund der Hitze die Fenster offen lässt. Die Nachbarskinder streiten, Geschirr klappert und irgendwo telefoniert jemand mit seiner Mutter. Auf der Straße fahren die Autos und irgendwo am Himmel fliegt ein Flieger vorbei. Hinter jedem Fenster entsteht eine kleine eigene Welt. Familien und Freunde, die den Tag ausklingen lassen. In jedem Auto sitzt eine ganze Geschichte und jeder Flieger bringt Menschen zusammen oder auseinander. Sie alle haben an diesem Abend ihre Probleme oder ihre Glücksaugenblicke. Es wird gelacht, gefreut oder auch geweint. Man selbst ist nur ein kleiner Teil und trotzdem fester Bestandteil davon.
Der Moment, wenn einem das Tief eines grässlich schlimmen Tages überrollt und man nichts anderes möchte, als etwas Ruhe. Die Vorstellung eines Glases Wein auf dem Sofa und dem guten Buch, das einem davonträgt. Wenn einem alles zuviel wird und man sich wünscht, endlich im Bett zu liegen, bis ein neuer Tag beginnt. Die Kollegen waren respektlos, der Autofahrer vor einem gemeingefährlich und die Nachbarn unfassbar laut. Die Ungerechtigkeit der Welt prasselt auf einem ein, ohne dass man sich dagegen abschirmen kann. Alles und jeder trampelt auf den blanken Nerven herum und man möchte einfach die Tür hinter sich schließen und alleine sein. Sie aussperren, bis man wieder Kraft hat, sich dem ganzen Trubel zu stellen.
Der Moment der Stille. Warmes, duftendes Wasser umgibt den Körper, während man in der Badewanne liegt. Romantische Kerzen werfen flackernde Schatten an die Fliesen. Jeder Atemzug wird bewusst wahrgenommen und der Kopf ist frei. Nur das Knistern des Schaumes ist zu hören und der Wind, der draußen an den Bäumen zerrt. Regen prasselt nieder, doch nichts davon kann einem erreichen. Die Gliedmaßen schweben weich und der Herzschlag ist ruhig. Egal was in der Welt vor sich geht, dieser Augenblick gehört einem selbst. Jeglicher Stress fällt ab und Ausgewogenheit erfüllt den ganzen Geist. Die Gedanken driften weit weg an wundervolle Orte und niemand hat daran teil. Der Trugschluss unverwundbar zu sein nistet sich ein, solange, bis die letzte Blase zerplatzt und das Gurgeln des Wassers verklungen ist.
Der Moment, in dem die Welt aufhört sich zu drehen. Eigentlich rotiert sie ganz normal weiter und trotzdem fühlt es sich anders an. Nicht schneller, nicht langsamer, nur anders. Rund herum läuft alles weiter wie gehabt, bloß man selbst hat keine Ahnung, wie man fähig sein soll, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Taubheit, statt Gefühle dominieren. Das ist gut, weil man sonst nicht wüsste, wo man all die Emotionen lagern sollte. Menschen überhäufen einem mit Ratschlägen und Erfahrungen. Es wird gesagt was man am Besten tut oder wie man zu reagieren hat. Jeder denkt zu wissen, was in einem vorgeht und dabei wissen sie überhaupt nichts. Wie sollten sie, wenn es einem selbst nicht klar ist? Wenn man nicht mal erahnen möchte, was der nächste Tag bringt. Viele andere stehen am nächsten Morgen auf, gehen zur Arbeit und kommen wieder nach Hause. Sie gehen Essen, erledigen ihre Aufgaben und treffen sich mit Freunden. Für einen selbst bleibt dieses Privileg bis auf unbegrenzte Zeit verwehrt. Die Pläne sind alle vernichtet und wurden durch Angst und Ungewissheit ersetzt. Trotzdem erwarten alle rundherum, dass man weitermacht und lächelt. Dass man die Floskeln glaubt und ihnen das Gefühl vermittelt, mit allem klar zu kommen. Es ist einfacher vorzuspielen, dass man es verarbeiten kann, weil es schwerer wäre die anderen auch noch aufzubauen.
Der Moment, in dem man aufgibt. Nichts scheint mehr Sinn zu machen, alles ist zuviel. Schmerz, Panik und Einsamkeit übermannen einem, obwohl man von Menschen umgeben ist, die einem helfen wollen. Enttäuscht über die eigene Schwäche suhlt man sich in Selbstmitleid. Man kann es nicht aufhalten und nichts hilft. Die Vorstellungen an die Zukunft wirken alle düster und sind durchzogen von Szenarien, die noch furchteinflößender sind, als die Gegenwart.
Und dann der Moment, in dem man den Kopf hebt. Geschwächt und noch immer ängstlich, aber auch mutig. Bereit zu tun, was getan werden muss und zu hoffen, dass alles vorbei geht. Man lernt wieder Freude an Kleinigkeiten zu empfinden und gewöhnt sich an das Gefühl des Lachens. Irgendwann ist es nicht mehr gezwungen, sondern kommt aus tiefstem Herzen. Glücksgefühle sind nicht mehr fremd und man erlaubt sich, sich selbst zu genießen. Weitere Unglücke werden passieren. Das Schicksal ist unberechenbar und ständig läuft man Gefahr, sich selbst wieder zu verlieren. Trotzdem grinst man sich im Spiegel an, sich seiner äußerlichen und innerlichen Narben bewusst. Der Wille ist da, allem zu strotzen was noch kommt und all die dunklen Momente zu überwinden.
Der Moment, wenn einem bewusst wird, dass es noch ganz viele davon geben wird. Schöne, lustige und angenehme. Traurige, angsteinflößende und bedrohliche. Alle davon gehören dazu und keiner davon wird einem aufhalten. Solange, bis es der letzte Moment war. Bis dahin kostet man jeden aus und geht durch die Schatten, um ins Licht kommen. Jeder davon prägt und jeder Wunderschöne ist es wert, gelebt zu werden. Mit allen Sinnen. Jede Lachträne, jeder Freudenschrei und jedes glückselige Seufzen. Es fällt nicht immer leicht, aber genau diese Moment muss man festhalten, um die anderen zu überstehen. Jeder einzige davon, lässt einem die Schlimmen vergessen. Man muss lernen, die Augen zu öffnen, um all die schönen Momente zu erkennen und festzuhalten.